Was für ein Volkstheater
gebraucht wird

Skizzen zu Ausschreibung, Anspruch und Bedarf, zu Aufregung und Aufgeregtheit sowie über den verderblichen Einfluss des Feuilletons auf die Organisation von Theaterarbeit

„Ein kaum mehr für möglich gehaltener Erfolg“ schreibt ein Kritiker, der das Volkstheater in Wien seit Monaten tot redet, über die Premiere von ‹Mozarts Vision›, und es fällt ihm wieder ein, dass es ein „Uraufführungshaus“ ist, und man muss darob dankbar sein, auch wenn ers halb zurück nimmt als „in Ehren ermüdet“.

Zielgruppentheater

Und es spricht für seinen Wirklichkeitssinn, dass er weiß, dass es ein Erfolg ist, wenns ihm gefällt. Auch wenn das noch gar nichts darüber aussagt, ob ein Publikum sich dafür findet. Denn erste Zielgruppe von Theaterarbeit ist das Feuilleton. „Es gibt kein Feuilleton in Wien“, sagt ein Freund und lacht, als ich ihm gegenüber den verderblichen Einfluss des Feuilletons auf die Organisation von Theaterarbeit beklage. Je nun – dafür ist es aber sehr mächtig. Denn ein „Publikumserfolg“, der ja entscheidend ist, auch an einem Haus, das Theater nicht als pure Unterhaltung betreibt, sondern seinen Kunstanspruch über Weltbeobachtung und Kulturentwicklung prozessiert (und mehr muss zum Volkstheater-Begriff im Grunde nicht gesagt werden), ist dennoch die geringfügigere Kategorie. Die dann, nach Laune oder wenns darum geht, im Falle eines bevorstehenden Direktionswechsels Lobbyismus zu betreiben oder zu verhindern, im Feuilleton wieder eingeführt wird als wohlfeiles Argument von der Auslastung, die stimmt oder nicht stimmt, je nach Bedarf. Nun sind aber die Kritiker durchaus ehrenwerte Leute. Und dass sie dem Modischen hinterher hecheln, das Spektakuläre im Verstiegenen suchen, vermeintlich Avantgardistisches am liebsten sich in den großen Häusern ansehen, die ausschließlich den Mainstream aushalten, und manisch Genialität schon dort vermuten wollen, wo das Mittelmaß sich nur mit genialischer Attitüde tarnt, hat wesentlich damit zu tun, dass das Feuilleton in den Medien, die es ursprünglich, wenn auch von Karl Kraus gescholten, überstrahlt hat, nur noch eine marginale Rolle spielt: Wer liest denn schon die Kulturseite? Nun, jedenfalls die Kulturtreibenden, und so entsteht eine kleine hermetische Welt, die das Problem mit sich herumschleppt, dass die einen im System Massenmedien und so mit den andern, im Kunstsystem, nicht unmittelbar kommunizieren können, dass also die einen mit den andern, bei vermeintlich gleichem Thema, im Grunde nichts zu tun haben. Aber man bewirbt sich (und nicht nur um Direktionen, sondern vor allem auch um Jobs als Regisseur/in, Schauspieler/in, Bühnen- und Kostümbildner/in etc.) mit Kritiken. Und in Wien ist es günstig, wenn man nicht nur Standard, Kurier, Presse und Salzburger Nachrichten als Bewunderer vorzeigen kann, sondern auch etwa die SZ, FAZ, NZZ und so weiter (wobei es selbstverständlich günstig ist, einen Journalisten zu kennen, der einem in hohem Maße verpflichtet ist oder noch was werden will, damit man ihm seinen PR-Text in die Textverarbeitung hinein diktieren kann). Das ist verderblich. Auch dass Journalisten massiv in Experten-Jurys sitzen und so ein zweites und drittes Mal die Bedingungen der Möglichkeit künstlerischer Berufsausübung bestimmen und also auch die, die sie nicht imstande oder bereit sind wahrzunehmen, behindern und verhindern, ist übel (zumal eine statistische Auswertung der Kritiken diesbezüglich reichen würde und uns Geld und Getue ersparen). Also wünscht man sich Theaterdirektoren in Wien, die das Feuilleton freundlich gering schätzen und von der Stadt Wien kostenlos die GEWISTA-Werbeflächen zur Verfügung gestellt bekommen, damit die Theater auf PR-Arbeit nicht angewiesen sind und nicht ausgeliefert dem Geschmack der Kritiker. Wobei herauszufinden wäre, ob nicht selbstbewusste Theaterarbeit, die sich um Moden nicht kümmert (so nicht um das feuilletongestützte letzte Zucken des absterbenden Regietheaters der dritten Generation), mittel- oder zumindest langfristig das ermattete Feuilleton zu neuer und schönerer Wachheit bringen könnte. Aber das wirds wohl nicht spielen. Leider.

Volkstheater, 15. April 2003
Volkstheater, 15. April 2003

Stadttheater

Im Fernsehen nun schlägt nicht nur ein Dichter (der, seit er seine Begabung hinter sich gelassen hat, als bedeutend zu allem, wovon er nichts versteht, öffentlich befragt wird und in seinen Antworten, wogegen nichts zu sagen ist, vor allem den witzigen Effekt sucht) vor, die Kantine des Volkstheaters in Wien umzubauen, die er nicht nur für „grindig“, sondern auch für das „Herz des Theaters“ hält (was er in einem Zeitungsinterview später verändert in „Seele des Theaters“, was beides Quatsch ist, im besten Fall ist sie der Bauch des Theaters, im schlechteren, was befürchtet werden darf, sein Blinddarm), sondern ein Theaterkritiker (der bei Theaterleuten als zynisch und selbstherrlich bekannt ist, aber selbstverständlich seine Bedeutung als Medienperson – um nicht etwa Zeitungsmann zu sagen – gerade dadurch konstruiert hat und dem ich, abgesehen davon, durchaus zutraue, dass er ein Theaterherz hat in der Brust und also leidet, wenns ihm nicht gefällt, während es so aussieht, als leide er auch, wenns ihm gefällt), hält für einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion um die nächste Direktion des Volkstheaters (also zur Diskussion ums Volkstheater) vorzuschlagen, es in Stadttheater umzubenennen. Allen Ernstes. Zu was? Dass es seit jeher ein Stadttheater ist, weils in einer Stadt steht, ist klar, und auch, dass, obwohl Privattheater (im Gegensatz zu den Bundestheatern, die inzwischen allerdings auch gewissermaßen privatisiert sind), die Stadt Wien einen großen Teil der Finanzierung gewährleistet (wenngleich auch der Bund mitfinanziert) und also in wesentlichen Entscheidungen (etwa der Besetzung des Direktionssessels) als einer der Eigentümer handelt (egal, welche Rechtsform die Organisation hat). Es ist indes die Stadt Wien auch ein Bundesland und der Bürgermeister von Wien auch der Landeshauptmann. Landestheater? Zumal es Abstecher macht in die Randbezirke? Ist nicht wesentlich für Landestheater, dass sie nicht nur mit noch weniger Geld auskommen müssen als die Stadttheater, sondern eben Abstecher machen? Müsste aber, wenn schon, konsequenterweise nicht auch über eine Umbenennung des Burgtheaters geredet werden, denn „nebst der Burg“ steht dieses Stadt-, nein Bundes-, nein „deutschsprachiges Nationaltheater“ ja längst nicht mehr? Ringtheater? Nein, schlechtes Omen: das Ringtheater ist abgebrannt. Theater „nebst dem Café Landtmann“, „vis à vis vom Rathaus“, „nebst dem Volksgarten“ oder gar „Kaiserin-Sisi-Theater“ (was den Vorteil hätte, dass man dann frohen Mutes die Volksoper wieder rückbenennen könnte in „Kaiserjubiläum-Stadttheater“, womit es dann allerdings zwei Stadttheater gäbe – unerträglich). – Nun bezeichnet der Begriffsdreiklang „Staats-, Stadt- und Landestheater“ strukturell deutsche Verhältnisse, wo etwa die Staatstheater nicht etwa in der Obhut des deutschen Staates, sondern jeweils in der eines deutschen Staates, heißt eines der Bundesländer sich befinden, somit eher vergleichbar mit den österreichischen Landestheatern, wobei die österreichischen Bundesländer allerdings nicht annähernd die Kulturhoheit haben wie die deutschen. Die deutschen Stadttheater werden von den Städten, in denen sie stehen, die deutschen Landestheater von Regionalverbünden (noch) finanziert. Warum also einen annähernd präzisen deutschen Begriff dem Volkstheater in Wien umhängen, auf das er so nicht passt? Weil der Begriff „Volkstheater“ unpräzise, eine Bezeichnung nach örtlicher Lage (gemäß Theater in der Josefstadt und Theater an der Wien), etwa „Theater am Weghuberpark“ (zumal den Weghuberpark sowieso nur die Wiener finden, die wissen, dass er bei der U2-Station Volkstheater liegt), allzu prätentiös wäre? Weil man nach der 1945 notwendigen Verkürzung des Namens (das Volkstheater wurde vor 114 Jahren als Deutsches Volkstheater gegründet) jetzt auch noch das „volks“, verspätet, was die Begriffsbelastung betrifft, los werden möchte und eine einfache Kürzung diesmal nicht ausreicht? Journalistische Selbstinszenierung? Der Begriff „Wiener Volkstheater“ ist von seiner Herkunft her nicht belastet, nur insofern einer gewissen Einschränkung in Bezug auf die sogenannte „Altwiener Volkskomödie“. Und der „Volkstheater“-Begriff, weit gefasst, schließt die griechische Tragödie, Shakespeare, Brecht etc. ein, also genau das, was man heute „Mainstream“ nennt und in Häusern mit über 200 Sitzplätzen einzig möglich ist. Ob man konzeptionell das Profil des Volkstheaters auf eine „Volksstücke“-Tradition engführt, ist eine andere Sache. Der Vorschlag der Umbenennung des Volkstheaters in Wien in etwa „Stadttheater“ hat indes, scheint mir, einen deutlich anderen als begrifflichen Hintergrund: damit soll ein sogenannter „Neuanfang“ deutlich akzentuiert werden.

Das Theater neu erfinden

Der Begriff Neuanfang ist in der deutschen Staats-, Stadt- und Landestheater-Landschaft weit verbreitet. Neue Intendanten übernehmen putschartig ein Haus, indem sie alles feuern, was sich feuern lässt und vehement das Theater neu erfinden. Dabei ist ihre wichtigste Zielgruppe das überregionale Feuilleton, dessen Lob sie auch dann, wenn sie denn eins kriegen, selbstergriffen vor sich her tragen, wenn das Haus leergespielt ist. Diesbezüglich geht die Rede, dass es selbstverständlich ist, dass eine neue Intendanz Publikumseinbußen hinnehmen muss, weil das Publikum sich an diese neue Art, Theater zu machen, erst gewöhnen müsse. Dieser Gewöhnungsprozess verläuft dann allerdings grundsätzlich umgekehrt: während sie zähneknirschend, bei fortdauernder Publikumsverachtung, weil es nur das Publikum gibt, das es schon gab, gleichsam zurückstecken, was ihre Profilierungs-Ambitionen betrifft, behaupten sie weiterhin, auf die Auslastung verweisend, dass sie das Publikum gewonnen haben und an sich gewöhnt, während zunehmend alles genauso ausschaut wie unter der Vorgänger-Intendanz nur mit anderen Namen und Gesichtern. Selbstverständlich gibt es Gegenbeispiele (so etwa in Tübingen), nicht nur weil neue Theaterintendanten in Deutschland heutigentags als Auflage haben, von Anfang an eine ausreichende Auslastung erzielen zu müssen, sondern weil einige Theaterleute begriffen haben, dass es unmöglich und im Grunde lächerlich ist, den Theaterneuerfinder als Erlöser darzustellen, und noch keine Genialität herausschaut, wenn man Monomanie und Publikumsverachtung bündelt und sich vormacht, gänzlich aus sich heraus Kunst als Ausdruck des Künstlerischen zu produzieren, während man sich in den gerade aktuellen Theater-Mode-Zentren orientiert und einen Abklatsch nach dem anderen als originär behauptet. Dass es darauf ankommt anzukommen in der Stadt, in dem Theater, dem man fürderhin vorsteht, das Publikum, wie und wo es ist, wahrzunehmen und zu respektieren, auch in seinen Grenzen, aber diese Grenzen durchaus als Herausforderung zu begreifen, und dieses Publikum zum Koproduzieren einzuladen, auch zu verführen, denn nur mit einem koproduzierenden Publikum kann man eine Entwicklung, gemäß einer künstlerischen Vision, die man im Kopf hat (wenn da nicht nur Eitelkeits- und Bedeutungsflausen sind), in Gang setzen und über das Abgesichtert-Machbare hinauskommen. Theater funktioniert nur lokal. Und überregionale Bedeutung eines Theaters (als Marke etwa) hat nur dann, und erst in zweiter Linie, einen Sinn, wenn es lokal funktioniert, wenn es also lebendig, als Lebensraum eingerichtet ist, offen und welt-wach, was vor allem seine unmittelbare Welt betrifft. Dass man dafür als Intendanten kein Genie, sondern einen Ermöglicher braucht (also jemand, der nicht erlöst, sondern kommuniziert), versteht sich.

Großstadttheater

Nun kann man einwenden, dass das Volkstheater eben kein Stadttheater ist, kein Theatermonopolbetrieb in einer Kleinstadt, dass es, in der Großstadt, in Wien zumal, Zielgruppentheater machen kann, auf das Publikum, das es hat, nicht so ausschließlich angewiesen ist. Man soll sich nicht täuschen. Und überhaupt: Dies ist eine Marotte nicht nur des Feuilletons, sondern auch vieler Theaterleute, die das Publikum, das es schon gibt, also die Leute, die schon ins Theater gehen, nicht haben, aber die Leute, die bisher nicht ins Theater gehen, ansprechen, anspielen, zum Theater verführen wollen. So ist, seit über die nächste Volkstheater-Direktion öffentlich verhandelt wird, immer auch von Publikumsumschichtung, gar von diesbezüglicher Notwendigkeit die Rede (und dass man dafür zusätzliches Geld braucht). Nun ja, auf zwanzig Jahre hin berechnet, wird es Umschichtungen geben, man wird vor allem Nachwuchs brauchen; und man muss selbstverständlich von Anfang ununterbrochen so arbeiten, dass man das so genannte mobile Großstadtpublikum immer wieder erreicht, denn das Abo-Publikum (dessen Geringschätzung selbstzerstörerisch wäre) reicht ja nicht aus, um durch eine solide Auslastung legitimiert zu sein. Aber ein homogenes Publikum anzupeilen und eines, das von Anfang an alles mittanzt, was ihm eine neue Direktion auferlegt als Ausdruck der eigenen Kunstbefindlichkeit, in einem Haus mit über 800 Sitzplätzen, in Wien zumal, wo schon bei 200 Sitzen Homogenität kaum herausschaut, wäre eine peinliche Selbstüberschätzung. Aber richtig: Das Volkstheater muss ja neu erfunden werden. Also muss alles, auf allen Ebenen, ganz anders gedacht und organisiert werden. Ein Erlöser muss her. Ein Genie muss her, mindestens. Zwar ist gerade kein Genie in Sicht, aber vielleicht ist unter den selbsternannten eins, das sich – entgegen der Erfahrung, dass tatsächliche Genies sich nie als Genies dargestellt haben – in ein tatsächliches auswächst. Andererseits – nun ja – jedenfalls ist Charisma wichtig und ein neues Profil, das Volkstheater muss sich ja endlich positionieren … Seit über die neue Volkstheater-Direktion öffentlich geredet wird, wird das Volkstheater, das es gibt, tot-geredet, als läge es vollständig brach, als wäre eine Epidemie der Grund für die Bestellung einer neuen Direktion und nicht die Tatsache, dass die Direktorin seit 1988, Emmy Werner, nach 17 Jahren in Pension geht. Schlimmer: als wäre nichts gewesen in ihren 15 Jahren bisher, als hätte sich das Volkstheater weder positioniert, noch profiliert, als hätte es keine Theaterfeste gefeiert, kein Publikum gefunden und oft begeistert, nicht sogar die abgebrühtesten Kritiker überzeugt mitunter; als neige sich nicht eine Ära ihrem natürlichen Ende zu (in knapp zwei Jahren, als dürfe man die schon abschreiben), eine große Ära, halten zu Gnaden – ja, ich bin befangen, ich war 11 Jahre lang dran beteiligt, dennoch, oder gerade deswegen: ich erinnere mich gut.

Kontinuität, Ensemble

Man könnte sich zurücklehnen und wissen, dass nur Geisteszwerge, um sich eigener Bedeutung zu vergewissern, ihr hässliches kleines Ego aufplustern müssen und alles heruntermachen, von dem sie fürchten, ihm nicht genügen zu können. Und vertrauen darauf, dass die Zeit zwar keine Wunden heilt, aber in ein paar Jahren der Rang dieser Volkstheater-Ära festgeschrieben sein wird, der ihr zusteht. Auch ist es ja nichts besonders Neues in dieser Stadt, in der seit jeher das Mittelmaß eine hohe Zahl neidisch-gieriger Machtspieler produziert, die alles niederzumachen versuchen, was ihnen nicht ähnelt. Dennoch Bitterkeit: man weiß es und ist doch überrascht. Dabei ist jeder neue Volkstheater-Direktor gut beraten, wenn er auf Kontinuität setzt, vor allem, was die Struktur des Spielplans betrifft, also das, was zum einen Teil gemeint ist, wenn vom Profil des Hauses geredet wird. In Bezug auf den anderen Teil dieses Profils, die Künstler, die Form und Ästhetik prägen, würde ich mir Ensemble-Entwicklung wünschen in Hinblick auf ein homogenes Ensemble (das für mich, um bei den organisch-spirituellen Metaphern zu bleiben, das „Herz des Theaters“ ist), das seine Energie in jeder Arbeit auch aus der Geschichte gemeinsam entwickelter Vertrautheit und Übereinstimmung entfaltet; also den umgekehrten Vorgang als jetzt, wo das Ganze des Ensembles sich aus der Gründung je einzelner Produktionsensembles ergibt. Wenn man solches im Sinn hat (und ich bin geneigt, es für notwendig in Bezug auf Überleben und Lebendigkeit des Theaters überhaupt zu halten), muss man sich allerdings klar machen, dass das Einkaufen von Stars budgetär ausgeschlossen ist, mehr noch: dass man etwa unter dem Titel „Gagengerechtigkeit“ (denn in einem festen Ensemble weiß, bei aller Geheimhaltung, jeder über kurz oder lang, was der andere verdient) Probleme wird in Angriff nehmen müssen, die im Grunde unlösbar sind (aber dennoch, so paradox das klingt, nicht beiseite geschoben werden können). Aber nahezu alle heutigen Theaterstars haben, wie im Grunde hinlänglich bekannt sein sollte, in homogen-selbstbewussten Ensembles sich zu dem entwickelt, was sie sind. Ein solches Ensemble wäre im besten Fall auch imstande, genau die Regisseure an sich zu binden, die es braucht. Denn man kann das Theater, dessen Krise ja nicht in erster Linie eine der Ästhetik, sondern des Sinns, also seiner Brauchbarkeit unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ist, nicht endgültig in die Hände von Regietheater-Regisseuren der dritten Generation fallen lassen: das wäre nämlich fatal.

Regietheater

Das Regietheater, gern auch als das „moderne Regietheater“ bezeichnet, ist nicht nur 100 Jahre alt, sondern auch lange tot. Die Leich’ aber wird ununterbrochen aufgewärmt, der Regisseurs-Markt orientiert sich ausschließlich am Genie-Begriff, eine werk- und wirklichkeitsorientierte Aufführung, die ihre Homogenität als Fest der Schauspielkunst findet, reicht nicht aus: da muss eine Handschrift her, eine Künstlerpersönlichkeit ihre Weltsicht, ob auch ermattet, über Werk und Ensemble stülpen, auffällig, pompös, jedenfalls anders als alle anderen bisher. Solches als Paradigma, wenn auch in Einzelfällen mitunter möglich, dörrt vor allem die Ensembles aus, indem sie die Spieler zu Erfüllungsgehilfen degradiert. Und auch auf ein Endprodukt bezogen gedacht ist, das so am Theater nicht existiert: das Kunstwerk am Theater entsteht im Augenblick der Aufführung und ist nur dann ganz bei sich (und also gleichsam wohlgeformt), wenn es vom Publikum koproduziert und dadurch fertiggestellt wird für diesen Abend, was nur geschieht, wenn das Publikum in den gleichen Atem gerät wie die Spieler. Ein Ensemble zu sich zu verführen, mit erwachsenen Spielern, die nicht auf Exekution dressiert sind, den Vorschlag eines Autors, auf Gegenwart und Publikum bezogen, zu kommunizieren in Versuchen, körperlich unmittelbar, den Rhythmus der Struktur zu finden, einen Bogen zu fixieren und die Spieler in einem Maße zu schützen und zu ermutigen, dass sie wagen, sich furchtlos und radikal auszusetzen, der schnöden, aber verführ- und begeisterbaren Meute da unten, die mit weniger als Herz und Seele (und nein, das hat mit der Kantine nichts zu tun) nicht zufriedenzustellen ist: das ist die Kunst der Regie, Handwerks-Kunst, die gar keine Zeit hat zur genialischen Selbststilisierung. Regie, die mit Kunst- und Genie-Attitüde beschäftigt ist, kommt über Kunstgewerbe nicht hinaus. So ist auch nur einem Regisseur, der diesen Unterschied kennt, zuzutrauen, dass er nicht in die Selbstüberschätzungsfalle gerät, die eine Angstfalle ist, als Direktor keinen anderen Regisseur zuzulassen, der ihn übertreffen könnte.

Theater-Management

Aber überhaupt: weder muss der Direktor eines Theaters Regisseur sein oder gar dessen erster und sogenannter stilbildender Regisseur, noch ist selbstverständlich, dass ein Regisseur als Theaterdirektor nicht überfordert ist. Das hat sich indes herumgesprochen. In einem Maße, dass im deutschsprachigen Raum bei Neubesetzungen nur noch Intendanten gesucht werden, die schon Intendanten gewesen sind. Was allerdings auch schief gehen kann. Zumal wenn es, wie oft, passiert, dass die Intendanten die neue Umwelt mit der verwechseln, die sie bisher hatten. Und zumal da sich zunehmend herausstellt, selbst unter Managern in der Wirtschaft, dass postheroisches Management besser funktioniert als althergebrachte Befehlsketten und Hierarchien, dass es also als Führungskompetenz nicht ausreicht, klare Entscheidungshierarchien einzurichten, die man glaubt, wie eine Maschine bedienen zu können.

Alltag, Krise

Insbesondere am Volkstheater in Wien: dessen Direktor oder Direktorin wird von vornherein und für immer ein/e Krisenmanager/in sein. Und nein, das ist nicht vergleichbar mit unterfinanzierten freien Produktionen, dem Gastspielbetrieb eines Festivals und nicht bewältigbar mit Freunden, die schon genug verdient haben und es jetzt billiger geben. Eine größere Anspannung der Kräfte aller ist nicht möglich. Das Einfordern von Loyalität zugunsten einer höheren künstlerischen Vision hat seine Grenzen; und die Frustration, die erfahrungsgemäß in allen Organisationen bei den Geringverdienern (und unter denen sind in einem Theater genau die, die ernsthaft die „Seele des Theaters“ genannt werden können) einsetzt, wenn auf Dauer kein Gegenwert für sie herausschaut, pflegt sich auszubreiten wie ein Geschwür. Bei gegebenem Budget und gleichen Strukturen (und das massive Austauschen von Personen kann das höchstens einen Augenblick lang vertuschen und hilft gar nichts) ist jedwede hochfliegende künstlerische Vision eines jeden Direktors (und sei er auch als Direktor, also als Ermöglicher, genial) als Bruchlandung konzipiert. Das Budget ist gedeckelt. Und Strukturveränderung ist, da als neue Maschine wenig sinnvoll, wenn in Richtung Organisationsentwicklung und lernende Organisation gedacht, ohne systemische Beratung nicht zu kriegen, die ihrerseits nicht umsonst ist, also im Budget untergebracht werden muss, und nur langfristig, und sowieso ohne Erfolgsgarantie, funktioniert, zumal sie umgehen muss mit gesetzlichen Bestimmungen und dem nicht zu unterschätzenden Beharrungsmoment alter Gewohnheiten. So wird ein Volkstheater-Direktor oder eine Volkstheater-Direktorin und sein/ihr noch so hochkarätiges Leitungsteam nach einem lustvollen Eröffnungs-Event auf einen Alltag zurückgeworfen sein, der alles verträgt, nur keine Flausen, und schon gar keine, die auf das Murmeln des Feuilletons fixiert sind.