Luzern
(K)eine Provokation

Ein schöner Opernabend trotz eifriger Inszenierung: Cosi fan tutte in Luzern.

„Keine Provokation“, atmet die Lokalkritik auf; das Premieren­publikum ebenfalls freut sich über diese Cosi fan tutte. Erleichterung: man hat es nicht (mehr) mit einem Theater zu tun, das schroff und selbstherrlich Auffassungen von Modernität gegen das Publikum knallt; der neue Direktor, Dominique Mentha, ist ein freundlicher Herr, der sich um das Luzerner Publikum bemüht, und so ist auch diese Aufführung darauf aus, verstanden zu werden. Dagegen ist nichts zu sagen. Zumal die Ausstattung modern-schlüssig, das Ensemble spannend, das Orchester einen feinen Mozart zu musizieren imstande ist. (Dies ist zwar – am Premierenabend – bei der Ouverture noch nicht zu hören, die – überkorrekt gespielt – klingt, als ob sie aus einer digitalen Jukebox käme, aber es stellt sich im Laufe des Abends und sehr schnell heraus.)

Die Inszenierung jedoch ist eher modisch als modern, im Komischen dabei altmodisch, im Bemühen um gedankliche Klarheit eindimensional trocken, also brav, wogegen der fatale Hang, möglichst oft am Boden zu sitzen oder zu liegen, kein probates Mittel ist. So gesehen also durchaus gegen die Musik gesetzt, gegen deren Rhythmus sie sich zwar nicht sträubt, deren Energie aber im Spiel (wenn auch hervorragend im Gesang) überhaupt nicht aufgehoben ist.

Myrtò Papatanasiu, Madelaine Wibom, Marie-Claude Chappuis
Myrtò Papatanasiu, Madelaine Wibom, Marie-Claude Chappuis

So im Komischen holzhammer-überdeutliche nahezu Schmierenkomödiantik, zum Beispiel wenn die Regisseurin (Tatjana Gürbaca) den Spielern ein kommentierend stummes Spiel abfordert, das schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ausschließlich in kabarettistischer Parodie irgend komisch war; oder wenn sie Madelaine Wibom (eine vorige Spielzeit auch spielerisch zauberhafte Pamina) nötigt, sich als Despina (die sie wunderbar singt) wie ein betronztes (naseweises, kess-zickiges) Schulmädchen aufzuführen, was schon mit dem Typus Kammermädchen (was sich zum Beispiel beim im Programmheft mehrfach zitierten Marivaux nachlesen lässt), den Wendigkeit und schnöder Realitätssinn als Weltklugheit auszeichnet, nichts zu tun hat (selbst in Operetten sind die Soubretten nicht immer einfach nur doof).

Es ist eine eifrige Inszenierung, die nur in den Momenten, in denen das Spiel zum Stillstand kommt, in ruhigen Bildern, ganz der Musik anheimgegeben und in diesen Momenten sehr schön ist. Vielleicht liegts ja daran, dass Tatjana Gürbaca, allzusehr mit der Zeitenwende vom Rokoko zur Aufklärung (von der sie im Programmheft spricht) beschäftigt, die Rolle der Aufklärung überbetont und allzu positiv setzt: das Kantsche Diktum von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“, aus der es gelte herauszutreten, ist spätestens seit Horkheimers und Adornos Aufklärungskritik mehr ein Witz als ein Glaubenssatz, als welcher er hier ausgebreitet wird. „Individualisierung“ (der beiden Schwestern) meint allzu wichtig Philosophie- und Weltgeschichte und plustert eine kleine Geschichte, deren Energie ganz woanders liegt, zu einem Gedankengebäude auf, das die Musik in all ihrer Eleganz und Schönheit wegbläst wie nichts. Schlüssig, dass die Schwestern zuerst im goldenen Käfig, unmündig, wenn auch nicht selbst verschuldet, vollgestopft mit falschen Gefühlen und Sicherheiten, ahnungslos in Bezug auf das, was ihnen selbstverständlich scheint: in Bezug auf die Liebe. Alfonsos zynisches Spiel einer Vernunft, in deren Logik sexuelle Treue nicht möglich ist, setzt ein Geschehen in Gang, das das sozial vernünftige Konzept des in der Ehe domestizierten Eros in Frage stellt. Nun ist vermutlich in dieser Inszenierung genau diese „Aufklärung“ und „Individualisierung“ gemeint: das Erwachsenwerden als Prozess nicht der Versteinerung, sondern zu einem Bewusstsein von sich selbst als Zustand der Verwirrung, der Überschwemmung durch Gefühle, die man besungen, aber nicht gekannt hat.

Myrtò Papatanasiu; Gregor Dalal, Matthias Aeberhard, Howard Quilla Croft
Myrtò Papatanasiu; Gregor Dalal, Matthias Aeberhard, Howard Quilla Croft

Dem Eros aber, also dem, was in Mozarts Musik sich ununterbrochen zeigt, weicht diese Inszenerung konsequent aus. Und lässt als besserwisserisches i-Tüpfelchen (als wäre ihr nicht klar, dass Theater als „Bürgers Abendschule“ längst nicht mehr funktioniert) zu allem Überdruss Zitate aus Heiner Müllers „Quartett“ belehrend an die Wand projizieren, als modisch-eitles quasi Dekonstruktions-Zitat; was im Grunde jedoch Hilflosigkeit als Bedeutungsballung gegen das Scheitern im emotionalen Verstehen organisiert.

Dass es nicht so einfach ist, diese erotische Oper „erotisch“ zu inszenieren, ist klar. Ich vermute, dass die Lösung diesbezüglich im Detail und nicht im Konzeptionellen liegt: ein Konzept ist immer nur ein Anfang (wobei zu hoffen ist, dass die Mode den Blick in diese Richtung und damit den Weg dahin bald einmal wieder freigibt). Das Derb-Obszöne ist dabei gewiss nicht hilfreich, auch kein „Ich-greif-dich-so-wahnsinnig-gern-an“-Theater, das ja immer nur die Prüderie bemäntelt. Es wäre herauszufinden gewesen. Es ist indes auch richtig, dass die meisten Regisseure und Regisseurinnen mit Cosi fan tutte überfordert sind. Dass der weibliche Blick auf diese Oper im Ansatz erfrischend ist, soll aber auch erwähnt werden; und dass die Bühne (Ausstattung Ingrid Erb) schön und das Bühnenkonzept schlüssig ist. Erstaunlich zuletzt, dass diese Cosi-fan-tutte-Aufführung für mich, trotz aller Einwände gegen die Inszenierung, ein sehr schöner Opernabend war. Dem Ensemble und dem Orchester unter Oswald Sallaberger zu danken. Und Mozart.