Wie das Feuilleton locker ein Stück mit seiner Inszenierung verwechselt
Dass Hilde Haider-Pregler ihren Nestroy kennt, verwundert nicht, schließlich ist sie Theaterwissenschaftlerin und schreibt Theaterkritiken nur zu besondern Anlässen, bei Nestroy etwa, wenn zum Beispiel ein weniger gängiges Werk wie „Nur Ruhe!“ am Spielplan steht. Viel mehr verwundert, dass die meisten der übrigen Kritiker ihren Nestroy so gar nicht zu kennen scheinen, während sie allerdings so tun, als hätten sie ihn sozusagen drauf. So rechnen sie, dass sie sich mit der Handlung nicht auskennen, dem Stück an. Jemand schreibt gar, Nestroy habe „geschustert“. Nun hat er, sexsüchtig, in solchem Sinn tatsächlich manisch geschustert.

Aber auch im vom Kritiker gemeinten Sinn ist es nicht gänzlich von der Hand zu weisen, insofern Nestroy Vorlagen verwendet und verändert hat und der Rang seines Werkes an den meist konventionellen Handlungsfäden nicht festzumachen ist. Tatsächlich gibt es auch Nestroy-Stücke, die, schnell heruntergeschrieben, strukturell ordentlich ächzen. Aber „Nur Ruhe!“ gehört halt gar nicht dazu. Zwar ist die Handlung dieses Stücks dem Fundus oft abgewandelter Verwicklungs- und Intrigen-Versatzstücke entnommen und in der gegebenen Kombination als pure Handlung, wie oft, nicht besonders interessant, aber doch hochpräzise, und man kann, wenn man Theater macht oder Theater beschreibt, wissen, dass die Nestroysche Suada, sein bitter-bösartiger Witz, die Glanzlichter seiner komisch-pessimistischen Philosophie eine präzise rhythmische Struktur brauchen, um sich adäquat entfalten zu können. Nun ist der Rhythmus einer Aufführung zwar, als Bedingung der Möglichkeit, durchaus durch den Stücktext vorgegeben. Aber man kann bei der Bearbeitung viel ruinieren. Zum Beispiel, in Bezug auf heutige Sehgewohnheiten, zuwenig streichen und Redundanzen beibehalten, die keiner brauchen kann. Oder aber zuviel streichen, so dass sich keiner mehr auskennt, und, während er verwirrt den Faden sucht, die Glanzlichter versäumt, die, wie gesagt, nur funktionieren, wenn sie gleichsam entstehen. Und genau das ist passiert bei dieser Aufführung: allzu rigorose Kürzungen haben Verwirrung gestiftet und das Nestroy-Eigentliche abgeschwächt und behindert.
Nun kanns dem Dichter, der lang schon seine Ruhe hat, ziemlich wurscht sein, dass das Feuilleton ihn rügt für etwas, das er in keiner Weise verschuldet hat, weil es, wie anzunehmen ist, augenblicklich einen Regisseur nichts als loben will, der Lob ja auch dringender braucht, zumal das Blatt sich oft allzuschnell wendet und unvermittelt ungerechter Tadel ungerechtem Lob folgen kann, und nein, es gleicht sich nicht aus wie beim Fußball, und dem Lob des Feuilletons Glauben schenken kann sowieso niemand, der seine sechs Sinne halbwegs beisammen hat. Aber man darf sich dennoch Kritiker wünschen, die nicht so tun, als hätten sie eine Ahnung, wenn sie keine haben.