Vom Kritiker-Gerede
Theaterkritiker, bei Nestroy- oder Raimund-Aufführungen, scheinen sich immer wie die Nackerten zu freuen, dass dieselben „nicht biedermeierlich“ sind, jedenfalls merken sie das immer an. Das sind Aufführungen dieser Autoren allerdings schon seit Jahrzehnten (außer eventuell bei manch Sommertheater-Unterhaltungs-Unternehmen), und erstaunlich und einer diesbezüglichen Anmerkung wert wäre inzwischen eine Aufführung, die „biedermeierlich” wäre. Ähnlich, noch schlimmer, die Kritiker-Anmerkung, ein Regisseur habe ein klassisches Stück „entstaubt“, wenn dieser Theaterkonventionen der fünfziger, sechziger Jahre, die damals (und von manchem Publikum heute noch) mit „Werktreue” verwechselt wurden, naturgemäß nicht bedient. Tatsächlich kann ein altes Stück und von niemand in die Gegenwart geholt oder gerissen werden, sofern es nicht von vornherein über die eigene Zeitgenossenschaft hinausragt.
Erstaunlicherweise hat die Benutzung des Begriffs „Dekonstruktion“, sowohl unter Theatermachern als auch Kritikern, stark abgenommen. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass Dekonstruktion nicht bedeutet, ein Werk nach Gutdünken zu zertrümmern und nach Belieben irgendwie, oft den Befindlichkeiten eines matten Regisseurs-Egos entlang, wieder zusammenzusetzen. Auch die „Postdramatik” hat nicht den Ruf, den ihr einige nach Bedeutung ringende Theaterwissenschaftler haben zutrauen wollen. Allenfalls bei einigen Theatergruppen, die schon glauben Avantgardisten zu sein, wenn sie sich dafür halten. Das „nicht-literarische“ Theater aber hat Saison. Allerdings hatten schon die aufklärerischen Hanswurst-Verbrenner hier zu Wien keine wirkliche Chance: das Theater in Wien ist niemals je eine „Dienerin der Literatur” gewesen und ist es bis heute nicht. So gesehen ist die Unterscheidung des literarischen vom nicht-literarischen Theater einfach nur blanker Unsinn.