Anmerkungen anlässlich der Fotoprobe des ‹Othello› bei den Wiener Festwochen, der neugierig erwarteten Inszenierung von Peter Sellars mit Philip Seymour Hoffman als Jago.
Der Programmzettel verspricht vierdreiviertel Stunden Aufführungsdauer, aber dann erfährt man, dass nur ein paar Szenen zum Fotografieren vorgestellt werden. Schade, denk ich.
Die Bühne offen, unverhüllt auch die Mauern, zentral ein leicht nach vorn abfallendes Podium in knapp Hüfthöhe, hinten begrenzt von Bildschirmen. Das wird das Bett sein, denk ich. Ein hartes Bett. (Das harte Feldbett des Soldaten? Othello ist ein General andererseits.) Tatsächlich räkeln sich Othello und Desdemona später auf dieser harten Unterlage wie auf einem Wassserbett (wobei er gleichzeitig mit dem Handy telefoniert).

Der Superstar (Philip Seymour Hoffman) trottet über die Bühne, von links nach rechts, deutlich in beiger Privatkleidung, die allerdings derart geschmacksfrei ist, dass sie vermutlich doch schon das Kostüm sein wird. Er geht wieder über die Bühne, diesmal von rechts nach links, bei einer der Eisentüren spricht er mit einem Bühnenarbeiter (?), geht dann hinaus. Ein kleiner Mann mit äußerst seltsamer Stehfrisur, den alle zu kennen scheinen, geht über die Bühne, den kenn ich von Fotos: Peter Sellars, der Regisseur, die Frisur genauso wie vor zwanzig Jahren, dass die sich so lange hält, denk ich verwundert. Männer in Uniformen tauchen auf, hauptsächlich Afroamerikaner, einer schaut aus wie der neue amerikanische Präsident. Hoffman geht wieder über die Bühne, jetzt bleibt er, setzt sich rechts auf einen Klappstuhl, steht wieder auf, setzt sich wieder, scheint zu meditieren (sich einzustimmen). Hängebauch, denk ich, nicht ohne Sympathie, aber beweglich. Peter Sellars kommt von der Bühne herunter und spricht zu uns, sehr freundlich, charmant, sie würden uns jetzt vier Szenen zeigen, seien ansonsten noch heftig am Probieren …
Vier Szenen also
Othello (John Ortiz) ist kein Mohr, sondern ein Latino. Die Konferenz beim Dogen, bei welcher Othello beschuldigt wird, Desdemona mit unlauteren Mitteln in die Ehe genötigt zu haben, läuft über Handys, auch Mikrofone auf Mikrofonständern stehen an der Rampe. Modisch (andererseits, wie sich herausstellt, nicht beliebig, sondern adäquat eingesetzt). Die Mikroports, die allen im Gesicht picken, sind nicht modisch, sondern ein Witz: selbst ein halskranker Schauspieler braucht keine Verstärkung im Theater Akzent. Möglicherweise aber sind Mikroports bei den Amerikanern schon Konvention auch im Sprechtheater. (Von denen Kritikern, Tage später, stört sich daran keiner.) Natürlich, mit Mikroports können die Spieler und Spielerinnen einfach reden, wie im Kino, muss sprachlich nichts vergrößert werden, es hat Vorteile. Es stört mich. (Nicht beim Fotografieren.)

Desdemona (Jessica Chastein) ist eine rotblonde, feingliedrige Schönheit, leicht bekleidet zuerst, dann mit einem roten Kleid über der Unterwäsche. Objekt der Begierde, Beutefrau, Oberklasse (zumal sie ja auch Tochter eines Senators ist): ganz klassisch. Sie und Jago die einzigen Weißen. Eine Multikulti-Partie auf Zypern. Warum ist Jago nicht in Uniform? Man wird es nicht erfahren. (Dass er bei der Beförderung übergangen wird, kann ihn, so blad, wie er ist, eigentlich nicht wundern.)
Eine Szene mit Jago, Cassio, Rodrigo, Montano (der hier eine Frau ist), die Trinkszene, das Parlando der vorherigen Szenen weicht aggressiveren Tönen: Jagos Intrige hat sich zu entfalten schon begonnen.
Eine Szene Desdemonas mit Emilia (Liza Colón-Zayas), in der Desdemona traurig-verzweifelt die Veränderung Othellos nicht versteht und beklagt, schön, sehr berührend gespielt von beiden Frauen.
Eine Szene Jagos mit Othello. Othollo defensiv, unsicher, Jago immerzu im Hochstatus, schroff, überlegen. Irritierend, dass Othello den General hier gar nicht behauptet. Andererseits, so spät im Stück (mir ist allerdings nicht ganz klar, welche Szene in welchem Akt das jetzt ist), es könnte sein, da Othello ja im Lauf von Jagos Intrige völlig die Fassung und die Form verliert, sich auflöst.

Sellars, dafür bekannt, Klassiker über eine äußere Form ins Jetzt zu reißen, tut das auch hier. Handys, technische Hilfsmittel für die schnelle Kommunikation, unbrauchbar gegen die Kommunikations-Intrige Jagos. Die Rassismus-Komponente durch die multikulturelle Besetzung möglicherweise weniger schroff im Vordergrund. Andererseits ist hier Othello ein Karriere-Latino, der durch die Heirat mit der weißen Beutefrau den Status zu usurpieren versucht, den er sich nicht zutraut oder sich nicht wirklich gönnt: das ist völlig unverändert der von Othello verinnerlichte Rassismus, der im Shakespeare-Stück immer schon sich entfaltet.
Nach nur einer von vierdreiviertel Stunden lässt sich über eine Aufführung ja eigentlich nichts sagen. Dass sie letztlich langweilig sein würde, ist eine durchaus unzulässige Vermutung, die Tage später allerdings durch viele Kritikerkommentare bestätigt wird: keine Sensation, fad, brav mit ein bisschen modischem Firlefanz, nicht uninteresant, und der Star eh gut, aber auch ein Besetzungs-Missverständnis und dergleichen. Die Anmerkung, Sellars lasse den Shakespeare-Text ohne Kürzungen spielen, der Genuss an diesem Text schon während der kurzen Probe, lassen mich zuletzt doch bedauern, nicht das Ganze sehen zu können. Dann fällt mir Taboris „Othello“ von 1990 im Akademietheater ein, die Erinnerung ist plötzlich wieder ganz frisch …