Heute, Mittwoch 23. September, stellte der künstlerische Leiter des Schauspielhauses Wien, Andreas Beck, das aktuelle Programm des Hauses zur Spielzeit 2009/10 unter dem Motto „das rauschen der gegenmaßnahmen“ vor.
Eröffnet wird die Spielzeit mit zwei Premieren innerhalb einer Woche: mit Kathrin Rögglas „worst case“ am 15. Oktober 2009 und mit Simon Solbergs Projekt „ARGOcalypse now“ am 23. Oktober 2009. Es inszenieren der Schweizer Lukas Bangerter, Regisseur, Autor und Bühnenbildner der Gruppe PLASMA, der in der Spielzeit 2007/08 die fünfte Folge des zwölfteiligen Doderer-Projekts „Die Strudlhofstiege“ realisierte, und der deutsche Regisseur und Schauspieler Simon Solberg, der vielen als einer der talentiertesten Nachwuchskünstler seines Fachs gilt.
Beiden Eröffnungsarbeiten ist gemeinsam, dass sie vom rauschen der gegenmaßnahmen erzählen, das Kathrin Rögglas „worst case“ entnommen ist und sich als Motto leitmotivisch durch diese Spielzeit ziehen wird: Gegenmaßnahmen, Gegenentwürfe, mitunter Utopien gegen das beinahe schon kollektiv proklamierte Lamento von der Krise der Gegenwart. Zwar präsentiert sich diese auch uns weder konflikt- noch problemfrei, dennoch gilt unser Interesse nicht der bloßen Bestandsaufnahme der Krise, die immer schon Triebfeder des Dramas war, sondern ihrer möglichen Überwindung. Zu klären ist daher auch die Frage nach der individuellen Verantwortung im Spannungsfeld zwischen zügellosem Kapitalismus, kollabierenden Finanzmärkten und schwindenden sozialstaatlichen Prinzipien.
Das Schauspielhaus versteht sich als Theater des Zeitgenössischen, als Schauplatz gegenwärtiger literarischer Unternehmungen, als Autorentheater im „klassischen“ Sinn. Der Spielplan besteht, auch in der dritten Spielzeit des künstlerischen Leiters Andreas Beck, ausschließlich aus Gegenwartsdramatik. Das Schauspielhaus besetzt mit dieser Programmatik eine singuläre Position in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. In den ersten beiden Saisonen waren mit Ewald Palmetshofer (07/08) und Gerhild Steinbuch (08/09), die 2010 mit zwei Uraufführungen, u.a. mit Herr mit Sonnenbrille vertreten ist, zwei der relevantesten österreichischen Nachwuchsdramatiker als Hausautoren engagiert. Da sich dieses Modell der Autorenbindung als sehr fruchtbar erwies, wird es in der kommenden Spielzeit fortgesetzt – allerdings tritt an Stelle einer singulären Autorenposition die Pluralität dramatischen Schreibens.
Dem in den beiden vorangegangenen Spielzeiten etablierten Prinzip der Serie treu bleibend, die sowohl Quell neuer Entdeckungen als auch Talentprobe war, soll nun erneut der Versuch unternommen werden, den multiperspektivischen Blick von zehn Autoren und vier Regisseuren zu nutzen. Das Schauspielhaus konnte für Die X Gebote mit Paulus Hochgatterer, Claudius Lünstedt, Ewald Palmetshofer, Kathrin Röggla, Clemens J. Setz, Gerhild Steinbuch, Thiemo Strutzenberger, Ilija Trojanow, José Maria Vieira Mendes und Iwan Wyrypajew zehn wichtige Gegenwartsautoren gewinnen, die je eines der Zehn Gebote in Auftragswerken – vom Einakter über das Pamphlet, von der Textfläche zur dramatischen Erzählung – neu interpretieren und damit eine der ältesten aller Ethiken auf ihre Gültigkeit befragen. Das Interesse des Schauspielhauses an einer Auseinandersetzung mit den Zehn Geboten, diesem traditionsreichen, Jahrtausende alten Gesetzestext, gründet in der Überlegung, wie es sich denn mit einem ethischen Korpus verhält, der im Grunde von keiner Ideologie und Philosophie jemals in Frage gestellt wurde und trotzdem notorisch gebrochen wird. Kuratiert werden „Die X Gebote“ von Ewald Palmetshofer, der Schweizer Publizist und Theaterkritiker Tobi Müller wird die Serie mit einer Diskussionsreihe begleiten. Die Literaturzeitschrift kolik plant anlässlich der Serie „Die X Gebote“ eine Sondernummer herauszugeben, die neben den zehn Stückabdrucken auch Essays enthalten wird.
Die immer zahlreicher werdenden Bühnenbearbeitungen literarischer Stoffe belegen die Wechselwirkung von Theater und Literatur. Das Schauspielhaus trägt dieser Entwicklung Rechnung: Im Mai 2009 fand die Uraufführung von „Wild wuchern die Wörter in meinem Kopf. Ein Triptychon“ nach Texten des 2008 mit dem Büchnerpreis und dem österreichischen Staatspreis für Literatur ausgezeichneten Kärntner Autors Josef Winkler statt. Im Dezember 2009 wird Ein Schwejk-Projekt in sieben Bildern, das nicht nur eine Entmythologisierung des legendären Soldaten Schwejk leisten soll, sondern auch die Frage nach der Bedeutung historischer Motive in der Gegenwart stellt, von Dušan David Paízek am Schauspielhaus uraufgeführt werden. Zudem ist damit auch der Auftakt zu einer Zusammenarbeit mit dem von Paízek 1998 gegründeten und geleiteten Prager Kammertheater (Divadlo Komedie) gelegt, einem Haus, das – ähnlich wie das Wiener Schauspielhaus – der zeitgenössischen Dramatik verpflichtet ist. Es wird auch um nationale Spielweisen und Textzugänge gehen, darum, wie deutschsprachige und tschechische Darsteller sich ihre Vorlagen gemeinsam aneignen, erspielen, spielbar machen können.
Im Frühjahr 2010 huldigen zwei polnische Künstler, der Autor Paweł Demirski und der Regisseur Michał Zadara, mit Der versteckte Messias den im deutschsprachigen Raum völlig zu Unrecht vergessenen polnisch-jüdischen Autor Bruno Schulz, einem zentralen Vertreter der literarischen Moderne, der 1942 auf offener Straße von einem Mitglied der Gestapo erschossen wurde und dessen Hauptwerk „Der Messias“ als verschollen gilt.
Mit „Ein Schwejk-Projekt in sieben Bildern“ und „Der versteckte Messias“ präsentiert das Schauspielhaus nach Dorota Masowskas „Zwei arme Polnisch sprechende Rumänen“, Iwan Wyrypajews „Juli“ und „Der Tag des Opritschniks“ nach dem gleichnamigen Roman von Vladimir Sorokin, erneut Autoren und Regiehandschriften aus zwei ehemaligen Ländern des real existierenden Sozialismus und nunmehrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Generell zeichnet sich die kommende Spielzeit dadurch aus, dass alle Uraufführungen, von der Bearbeitung antiker Mythen („ARGOcalypse now“ und „Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung“) über die Dramatisierung literarischer Stoffe („Ein Schwejk-Projekt in sieben Bildern“ und „Der versteckte Messias“) bis hin zur Adaption filmischer Vorlagen („Harry Lime lebt! Und das in diesem Licht!“), einer sehr intensiven Zusammenarbeit von Autor und Regie geschuldet sind, die gemeinsam Stoffe entwickeln, Fassungen prüfen und in ständigem Dialog stehen. Denn gerade ein Autorentheater, das sich ausschließlich der Gegenwart verschrieben hat, sucht ständig nach neuen Textzugängen, innovativen Inszenierungs- und Spielweisen, nach originären zeitgenössischen Regiehandschriften, um von unseren Lebenszusammenhängen zu erzählen, denn szenisches Schreiben wird erst durch die Realisierung auf der Bühne vollendet; nur dort findet seine endgültige Formulierung statt.
Mit Felicitas Brucker, die in den beiden vergangenen Spielzeiten zwei wegweisende Uraufführungen von Ewald Palmetshofer, nämlich „hamlet ist tot. keine schwerkraft“ (2007) und „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ (2009), inszenierte, hat das Schauspielhaus wieder eine Hausregisseurin. In der kommenden Saison wird Felicitas Brucker Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung uraufführen sowie eine Folge der Serie „Die X Gebote“.
Um ein Haus als Autorentheater zu etablieren, genügt es nicht, arrivierte zeitgenössische Dramatik zu präsentieren. Ein Schwerpunkt der Arbeit, die am Wiener Schauspielhaus geleistet wird, gilt daher der systematischen Suche und besonderen Förderung junger Autorinnen und Autoren. Zu diesem Zweck rief das Schauspielhaus 2007 gemeinsam mit der Literar-Mechana das Autorenprojekt stück/für/stück ins Leben, dessen Ziel die Verbindung von theoretischer Ausbildung und praktischer Erfahrung in der konkreten Theaterarbeit ist. Voraussetzung für die Teilnahme an „stück/für/stück“ ist ein bereits existierendes Theaterstück. Die Jury, die seit Jänner 2009 die Schreibprozesse von vier noch wenig bekannten Autoren begleitet, wählte aus zahlreichen Bewerbungen Christiane Kalss, Teilnehmende des Lehrgangs für „Szenisches Schreiben“ der uniT Graz, Matthias Scheibner, der bereits in der „Schreibklasse“ mit dem britischen Dramatiker David Spencer erste dramatische Erfahrungen sammeln konnte, den deutschen Regisseur und Autor Kevin Rittberger, der in der Spielzeit 08/09 mit „Penis“ die neunte Folge von „Diesseits des Lustprinzips: Freud und die Folgen (10)“ inszenierte und dessen Stückauftrag „Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung“ im April 2010 am Schauspielhaus uraufgeführt werden wird, und den Ensemble-Neuzugang Thiemo Strutzenberger, der bereits in der Uraufführung von Ewald Palmetshofers „wohnen. unter glas“ am Haus zu sehen war und einer der Autoren der „X Gebote“ sein wird.
Am 29. November 2009 wird das Schauspielhaus-Ensemble die vier im Rahmen von „stück/für/stück“ entstandenen Arbeiten präsentieren – und dem besten Autor das mit 5.000 Euro dotierte Hans-Gratzer-Stipendium, gestiftet von Literar-Mechana, überreichen. In der vergangenen Spielzeit wurde der Oberösterreicher Thomas Arzt für Grillenparz ausgezeichnet, das im Frühjahr 2010 am Schauspielhaus uraufgeführt werden wird. Prinzipiell soll das Preisgeld die Entstehung eines Theaterstücks ermöglichen, das wiederum am Schauspielhaus uraufgeführt werden kann. Das Stipendium ist somit nicht Ende, sondern Auftakt einer Arbeitsbeziehung.
Aufgrund des gemeinsamen Interesses an der Förderung des Dramatikernachwuchses in Österreich setzt das Schauspielhaus auch seine Kooperation mit dem Dramaforum der uniT Graz fort, einer Initiative an der Universität Graz zur Förderung junger Kunst mit einem Schwerpunkt auf zeitgenössische Dramatik. Die in der Spielzeit 2007/08 gegründete Schreibklasse richtet sich an theaterinteressierte junge Menschen, denen Gelegenheit geboten wird, in monatlich stattfindenden Workshops an ihren Dramentexten zu arbeiten, Grundkenntnisse über Dramaturgie und theaterpraktische Zusammenhänge zu gewinnen. Am 1. November 2009 präsentieren die Teilnehmer des zweiten Jahrgangs erstmals öffentlich Auszüge ihrer Arbeiten. Auch in der Spielzeit 09/10 werden uniT Graz und das Schauspielhaus eine „Schreibklasse“ anbieten. Auch die von „kolik“, der von Gustav Ernst und Karin Fleischanderl herausgegebenen Zeitschrift für Literatur, veranstaltete kolik.autoren.lounge steht erneut auf dem Programm.
Die Suche nach neuen ästhetischen Mitteln, Ausdruck jener zentralen Idee, nach der das Schauspielhaus auch als Werkraum begriffen werden soll, findet kommende Spielzeit in einem neuen Bühnengrundraum, gestaltet von Aurel Lenfert, und einer neuen Spielstätte, dem Nachbarhaus, das sowohl als Schauplatz für „Die X Gebote“ als auch als Bar dienen wird, ihre Realisierung.
Um all diese Projekte zu ermöglichen, braucht das Schauspielhaus Wien entsprechende Unterstützung; und wer ist auf dem Sektor „Spiel“ kompetenter, als ein Unternehmen, das sich damit Tag für Tag beschäftigt: in Novomatic haben wir einen Partner gefunden, der nun schon die dritte Saison als Hauptsponsor das Haus unterstützt.
- Quelle
- Schauspielhaus Wien