Am Volkstheater inszeniert Stephan Müller Molières ‹Don Juan› mit viel aufgesetzt-eifriger, dennoch kaum komischer Komödiantik in einem grau-blau-düsteren Bühnenbild von Hyun Chu und mit wunderschönen Kostümen von Birgit Hutter.
Im Standard hat Ronald Pohl die Aufführung als einen Theateressay bezeichnet, was mich vermuten lässt, er habe sich im Vorhinein mit Stephan Müller, dem Regisseur, über Bedeutungen verständigt, denn ohne eine solche Vorausinformation erschließen sie sich nicht. Es sei denn, die Distanziertheit und Leidenschaftslosigkeit, die als Standpunkt des Regisseurs sichtbar werden, sollen als etwa intellektueller Zugriff zu gelten haben. Wobei Stephan Müllers dramaturgische Brillanz, seine Belesenheit, sein Theater-Wissen, von dem berichtet wird und das er in Interviews immer auch präsentiert, damit gar nicht in Frage gestellt sind. Aber solches ist für einen konzeptionell arbeitenden Regisseur zwar ein solides künstlerisches Fundament, reicht aber nicht aus, um die Vision des sinnlichen Theaters, die hier beabsichtigt scheint, in einer Aufführung auch konkret zu entfalten.

Alles gebändigt, alles ausgedacht und straff organisiert, die Aufführung weiß ununterbrochen irgendetwas, das sich nicht zeigt, ein Regisseur, in sicherer Entfernung, in keiner Weise verstrickt, nie in Gefahr, die Kontrolle zu verlieren, über alles erhoben und erhaben, gibt das Spiel nicht frei, seine Präzision und die, die er mit seinem Ensemble erreicht, ist kalt und lässt kalt, und die Schauspieler und Schauspielerinnen, die mit ihrem ganzen Können, das ja keinesfalls unbeträchtlich ist, um Intensität ringen, zappeln und kreischen und hüpfen und sind nichts als eifrig. Mit Ausnahme von Nanette Waidmann als Charlotte, der Jüngsten, die alle Eifrigkeiten, die ihr aufgetragen sind, durchaus erfüllt, und dennoch ihre Grazie, ihre Spontaneität bewahren und vermitteln kann. Warum das so ist? Und warum die übrigen, die ja nuanciert und präzis gearbeitet haben und ihre Energien bündeln und loslassen, den Eindruck von Gliederpuppen, die von einem besonders lieblosen Marionettenspieler bewegt werden, vermitteln? Oder es ist doch Absicht, und Stephan Müller hat gar keine Vision sinnlichen Theaters im Kopf, sondern will einen zynischen Blick auf Welt, Menschen und Theater als Blick auch des Zuschauers organisieren?
Jedenfalls ist es ein Versuch zu zwingen: diesen Blick zu erzwingen, seine Theaterbilder in den Kopf des Zuschauers zu brennen, so kalt diese Bilder auch sind, die so sehr Leidenschaft, Verrat, Schmerz, Grausamkeit, Verderben und Angst vermitteln wollen. Oder wollen sie das gar nicht, wollen sie die großen Gefühle, die Triebhaftigkeit, die Grenzerfahrungen, Todesangst nur zeigen als sinnloses Strampeln, das eingebunden ist in den trägen Fluss des Verfalls?

Molières ‹Dom Juan›, Vorlage für den ‹Don Giovanni› und mit ihm verwandt, zeigt den rastlosen Verführer als Zyniker und Nihilisten, der völlig skrupellos gesellschaftliche Ordnung oder gar Moral ablehnt und bekämpft. Dabei mag eine moralisierende Interpretation Juan als die Verkörperung des Bösen deuten, aber er kann selbstverständlich auch als Held von Freiheit und Individualität und sexueller Befreiung gelten, der sich Grenzen nicht setzen lässt und Gemeinschafts- und Biedersinn, soziale Verantwortlichkeit als Untertanentugenden ablehnt und von der Ordnungsmacht unerbittlich vernichtet wird. Auch bürgerliche Kritik an adeligem Schmarotzertum lässt sich herauslesen, genauso wie Verachtung der tödlichen Dumpfheit patriarchaler Anmaßung, die nichts Besseres verdient, als ihre domestizierten Frauen an den zynischen Stecher zu verlieren, was allerdings nicht heißt, dass dem Feminismus mit diesem Stück zu dienen wäre.
Die Aufführung im Volkstheater ist nun nachgerade antifeministisch: sie zeigt den Verführer in der Endphase des Verfalls, und es mag eine eklatante Fehlbesetzung sein oder eine seltsame Konzeption, aber der Juan, wie ihn Denis Petkovič spielt, ist so weit entfernt von einem irgend verführerischen Glanz, auch einem vergangenen, so sehr ausschließlich damit beschäftigt, Worthülsen abzusondern, so abgeschlafft und langweilig, dass man sich nicht nur fragt, wie dieser abgeschlaffte Typ es zustandebringt, in einem Duell zu bestehen, sondern vor allem, wie dämlich und blind die Frauen sein müssen, die auf so was auch nur eine Sekunde lang hereinfallen. Auch ist er so gänzlich sauber, so sehr gewaschen, schwitzt nicht und stinkt selbst dann nicht, wenn er auf dem Clo sitzt, und dass der Banquier Monsieur Dimanche (Erwin Ebenbauer) sich, am Clo zu einem Geschäftsgespräch empfangen, die Nase zuhält, ist pure Outrage. Auch Heike Kretschmer als Donna Elvira outriert heftig, schreit, wälzt sich auf dem Bühnenboden herum und auch sie macht sich nicht schmutzig dabei. Niemand macht sich schmutzig. Auch die Kämpfe, hier als Zitate asiatischer Kampfsportarten als Hüpf- und Wachelchoreographien organisiert, kommen ohne Berührungen aus, und alle Aufwallung, alle Aufregung sind leere Behauptungen. Als Verrenkungen eines Turnvereins auf Abwegen erscheinen auch die Übungen, die Juan und Charlotte (Nanette Waidmann) und Mathurine (Claudia Sabitzer), von Sganarelle (Raphael von Bargen) unterstützt, in ihrer Verführungsklamotte durchführen, wobei es sogar zu Berührungen kommt – je nun …

Es soll auch komisch sein. Es wird oft etwas als (oder auf) komisch gestemmt, deutlich absichtsvoll, immer als Kraftakt, es wird Eleganz signalisiert, Leichtigkeit, aber nichts ist leicht, nichts ist komisch. Und nein, es hat keine Tiefe. Und irgendwie ist auch alles weit weg und ziemlich gleichgültig. Dass der abgehalfterte Held sich auf sein Ende zuquält, dass die Sexsucht von ihm abfällt und der Todessehnsucht weicht, die womöglich sowieso als der eigentliche Antrieb gemeint sein soll, dass der in sich zusammensinkende Juan am Ende abgeschossen wird (und dann doch möglicherweise überlebt oder nicht): es regt nicht auf. Dieser Juan hat nicht nur nichts Verführerisches, sondern auch überhaupt nichts Bedrohliches, kein unbehauster Anarchist, kein sexuelles Raubtier, und er war es auch nie, keiner, der eine Ordnung radikal in Frage stellt und die Todesdrohung mit schallendem Gelächter quittiert, irgendjemand, fern, irgendetwas, weit weg. Behauptung von Theater …
Wobei ausdrücklich: an den Schauspielerinnen und Schauspielern liegt es nicht, die ihr Bestes versucht, die in die Falle dieser Inszenierung gegangen sind, Erfüllungsgehilfen eines Konzepts, das vermutlich auch gescheit und auf eine schöne Aufführung hin gut gemeint war. Sonst? Die schönen Kostüme von Birgit Hutter. Ja, und der Zauber von Nanette Waidmann, das immerhin.
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