TAG
Rashomon, Wiener Fassung

Wieder ein Theaterabend nach einem Meisterwerk der Filmkunst. Eine der Theatermoden, von denen wir in jüngster Zeit vermehrt heimgesucht werden. Rashomon, die Wiener Fassung im Theater an der Gumpendorfer Straße, ist indes nicht einfach eine Theaterfassung des Films, sondern eine sehr interessante Aneignung, auch methodisch, und es ist ein spannender, vor allem schauspielerisch intensiver Theaterabend dabei herausgekommen.

Georg Schubert (Foto © Anna Stöcher)
Georg Schubert (Foto © Anna Stöcher)

Die berühmte Geschichte, in der ein Ereignis von vier Personen je ganz anders, aber in sich jeweils völlig plausibel, erzählt wird, sodass die Wirklichkeit als objektiv wahr nicht erkennbar wird, hat in der Folge des Films von Akira Kurosawa von 1950 sogar einen Begriff (Rashomon-Effekt) geprägt, der die subjektive Wahrnehmung als von Eigeninteressen bestimmt radikal konstruktivistisch beschreibt. Dies nun wird im TAG auch in der Entwicklung des „Stücks“ und der Aufführung umgesetzt, insofern zwei Regisseure und zwei Regisseurinnen (Paola Aguilera, Andreas Erstling, John F. Kutil, Margit Mezgolich) je eine der vier Erzählungen inszenieren und textlich gestalten. Der Programmfalter lässt uns darüber im Unklaren, wer nun welchen Teil inszeniert hat, was mir nicht gefallen mag, insofern ich nicht jemand konkret bewundern oder angiften kann, aber auch dies wird man als eine der Uneindeutigkeiten, der Geschichte entsprechend, gelten lassen müssen.

Wien der Gegenwart

Die Geschichte ist aus dem japanischen Samuraizeitalter schlüssig ins Wien der Gegenwart verlegt. In seinem Garten in Wienerwald ein Polizist (Georg Schubert) mit seiner (ausländischen) Gattin (Maya Henselek) im gelben Bikini, die er herumkommandiert, die er devot umschmeichelt, die vom hinzukommenden Kleinkriminellen Manfred (Horst Heiß) vergewaltigt wird, der von ihr verführt wird, der in einer komödiantisch-comic-haften ehetherapeutischen Sitzung Beziehungsarbeit leistet, der den Polizisten erschießt, welcher von seiner Suzie erschossen wird, sich selbst tötet, wie er bei Gericht mittels eines Mediums (Petra Strasser) selbst aussagt, was der einzig vermeintlich unbeteiligte Zeuge (Julian Loidl) zuletzt völlig anders berichtet …

Maya Henselek, Horst Heiß (Foto © Anna Stöcher)
Maya Henselek, Horst Heiß (Foto © Anna Stöcher)

In der Mitte der Spielfläche, die zu schweben scheint und an allen vier Seiten von Zuschauerreihen umgeben ist, ein Kanaldeckel, der sich zu drehen beginnt, wenn der jeweilige Zeuge, die Zeugin sich drauf stellt, um die Aussage vor Gericht zu beginnen, die sich dann ins Spiel auflöst: eine bestechende Bühnenlösung (Alexandra Burgstaller), die auch dem Publikum je einen von vier Blickwinkeln zuweist, unterstützt von einer unaufdringlich-schönen Lichtführung (Hans Egger).

Hervorragendes Ensemble-Spiel

Diese Bühne als Spielfläche in der Mitte des Publikums fördert den Realismus des Spiels, das anders als beim Guckkasten nicht in eine Richtung geht, dessen Intensität das so voyeuristisch angeordnete Publikum allerdings gleichsam ansaugt, trotz konsequenter Beibehaltung von vier vierten Wänden. Die Figuren verändern sich gemäß der veränderten Perspektive, sind einmal widerlich, das andere Mal sanft und anschmiegsam, machistisch und romantisch, aggressiv und verständnisvoll-vernünftig, komisch und todernst, attraktiv-verführerisch und kalt-abweisend, mörderisch, lächerlich, höchst sympathisch und zutiefst unsympathisch: eine hervorragende Ensemble-Leistung.

Nun sind die vier Autoren-Regisseur/innen nicht unbedingt Theaterdichter (was sie im reformierten Wiener Theaterwesen wohl auch gar nicht sein sollen), aber die Texte, Dialoge sind feines Gebrauchstheater-Material. Warum indes Horst Heiß als Wiener Kleinkrimineller, den er glänzend spielt, sein Hochdeutsch, wie mit verstellter Stimme, deutlich bundesdeutsch färbt (er stammt aus Hallein bei Salzburg und hat seine Schauspiel­ausbildung in Wien absolviert), ist unklar. Zumal im ersten Teil, in dem Georg Schubert sein feines Hochdeutsch in einigen Momenten durch Registerwechsel zum Dialekt hin authentisch auspendeln lässt. Irritierend auch, dass im zweiten Teil die Intensität des Spiels durch Lautstärke versucht wird zu vergrößern, was zum Gegenteil hin tendiert. Äußerst unangenehm dann, im vierten Teil, der sprachlich am überzeugendsten ist, die Entscheidung, den kraftvoll-bohrenden Dialektmonolog Franz Deibls (Julian Loidl) durch das durchaus affige Herumhüpfen in Tütüs von Schubert und Heiß (mit nacktem Oberkörper) und Henselek (zum Bikini) zu konterkarieren. Ironisierung, um sich etwa einem Postdramatismus (dessen Irrlichtern wir einer vagen, sinnlosen Begriffsbildung durch einen allzu ehrgeizigen Theater­wissenschaftler verdanken) zum Zwecke formaler Innovationserfüllung anzuschmiegen? Kann sein, ich verstehs einfach nicht, aber jedenfalls saugt es Energie ab und schwächt so die Wirkung dieser Aufführung.

Dennoch: Rashomon im TAG ist ein spannender Theaterabend, dessen thematisch und methodisch bedingten Stilunterschiede (um nicht gar Regie-Handschriften zu sagen) als besonderer Reiz erscheinen und der vor allem als Schauspieler-Theater überzeugt.

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TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße
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