Theater als Lebensraum
Der aufklärerische Amtscharakter des Theaters hat sich erledigt. Theater muss seinen Sinn neu formulieren und dauernd offen bleiben für diesbezügliche Reformulierung. Die Forderung der Wirtschaftlichkeit in allem, was Kosten betrifft, ist nur für ein Wahrheits-Amt eine Zumutung. Umgekehrt ist der Sinn des Theaters als lokale Institution (in Stadtteil, Stadt, Region, etc.) sowie als Kunst-Institut auch nach dem Ende der Unantastbarkeit an Wirtschaftsdaten allein nicht festzumachen. Der Gebrauch des Theaters bestimmt den Grad seiner Notwendigkeit.
Derzeit findet ein Rückzugsgefecht statt: man hält an alten Strukturen fest und fasst die geänderte gesellschaftliche Stellung nur ökonomisch auf; man spart resignativ und nur dort, wo es leicht geht, statt über Strukturveränderungen; schwächt sich so selbst und beklagt den Außendruck, statt die eigenen Möglichkeiten in neuer Lebendigkeit so zu organisieren, dass die Notwendigkeit des Theaters außer Frage steht.
Das Theater muss seine innere Struktur und sein Verhältnis zum Publikum neu definieren; also ein Organisation schaffen, die den Sinn als Vision auch prozessieren kann (und das geht mit zu einer Maschine zusammengedachten Erfüllungsgehilfen nicht, also nicht in Organisationsstrukturen, die im 19. Jahrhundert schon alt waren); und begreifen, dass eine hierarchische Publikumsbindung nicht mehr funktioniert, also ins Eigentum des Publikums zurückkehren.
Der Sinn des Theaters (und alles deutet drauf hin, dass dieser Paradigmenwechsel schon stattgefunden hat und nur der offensiv-kreativen Umsetzung harrt) ist seine Entfaltung als Lebensraum, in dem Vergnügen, Auseinandersetzung, Bildung und Konflikt, aber vor allem Kommunikation ist – Theater als Einheit von Autoren, Schauspielern, Sängern, Musikern und allen übrigen Theaterschaffenden mit dem Publikum, das seine Wirkung als wesentliche lokale Kulturinstitution und als Kunst-Institut entfaltet und um seine Unvergleichlichkeit und Unübertrefflichkeit weiß, wenn es zu sich findet in jenem magischen Moment, in dem Wahrheit weder verordnet, noch verkündet wird, sondern sich vollzieht als Fülle des Lebens.
Magisches Kaffeehaus also, um es salopp zu sagen – und dies ist eine Auffassung von Theater, die gleichzeitig archaisch (das Athener Theater etwa war eng verwoben in die Entwicklung der Polis und tief in ihr verwurzelt), als auch modern ist, insofern es sich nicht mehr als des mündigen Bürgers Abendschule organisiert, in der sich dieser der Belehrung und Erziehung unterzieht, sondern Angebote zum kommunikativen Gebrauch bereitstellt. Dies als Instanz von Weltbeobachtung, nach wie vor und wieder, mit seinem alten Vorzug, eine Kunstform zu sein, in welcher das Kunstwerk im Augenblick seiner Entstehung vom Publikum mitvollzogen, gleichsam koproduziert wird.